Engel? Gibt’s die überhaupt? Der Kronacher Lyriker Ingo Cesaro ist – trotz aller berechtigter Zweifel – davon überzeugt. Zumindest die Schatten derer, die wir als Schutzengel, Racheengel oder Trauerengel kennen, will er gesehen, gespürt, erahnt – ihr Wehklagen vernommen haben. Als Metapher. Engel als flatterhafte Wesen, mal aufdringlich erotisch, mal zerstörerisch oder gar zerstört, mit zerfledderten Flügeln, eine Blutspur hinter sich herziehend. Ebenso als „Gelbe Engel“ mit ölverschmierten Händen am Straßenrand stehend.

„Aus dem Schatten der Engel“, erschienen bei éditions tréves, Trier, hat nur mit einem nichts am Hut: liebreizende, pausbäckige Putten, auf beinlos auf Wolken gebettet – das gibt es bei Cesaro nicht. Der 300 Seiten umfassende Gedichtband ist nichts für Esoteriker. Die hier abgedruckten Werke – zum Teil in mehrere Sprachen übersetzt – haben wenig Versöhnliches. Des Lyrikers Engel sind ein brutaler Fingerzeig auf die uns umgebenden Absurditäten, Engelszungen sucht man bei ihnen vergebens. Spätestens dann, wenn man von Geschöpfen liest, deren Gefieder blutbesudelt jeglichen Aufstieg verhindert, weiß man, dass es eben keine federleichte Kost ist, die einem hier vorgesetzt wird. Cesaros Engelgedichte wollen mehrfach gelesen verinnerlicht werden – um dann die ganze Tragweite des Fiaskos zu erkennen, in dem sich unsere Engel gleich uns selbst befinden. Und das alles mit der dem Autoren eigenen subtilen Ironie.

Cesaros Engel sind aus dem Hier und Heute. Engel, die sich nächtens an uns schmiegen, Sehnsucht aufkeimen lassen, uns mit Engelszungen betören. Engel, die konsequent daran scheitern, ihre einzige Aufgabe , uns zu beschützen, zu erfüllen. Engel, die auf Erden zum Scheitern verurteilt sind. Weil wir selbst es sind, die immer wieder scheitern.

Für den Autor selbst haben seine Engel nichts Mystisches, nicht einmal etwas Religiöses. Und dennoch: Cesaros Engelgedichte werden in Heiligen Messen ebenso rezitiert wie auf einem Gothic-Festival.

Cesaro beschäftigt sich seit 1986 mit Engelgedichten. Auslöser war die Katastrophe von Tschernobyl. Seinerzeit machte ein russischer Kollege den Kronacher Lyriker auf die Johannes-Offenbarung hin: „Und der dritte Engel blies die Posaune: und es fiel ein großer Stern vom Himmel, der brannte wie eine Fackel. … Und der Name des Sterns heißt Wermut.“ Der Ortsname Tschernobyl bedeutet im Deutschen: Wermutstern.

Ingo Cesaro: „Aus dem Schatten der Engel“. Gedichte, 320 Seiten, Hardcover, éditions trèves, Trier, 2013, 19,80 Euro, ISBN 978-3-88081-604-6

Mathias H. Walther

Kategorien: Archiv

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